Crveno Jezero
Aus meinem Tagebuch, in Erinnerung an Thomas Czepitschka, Bernd Aspacher und Kai Loyens.

23.9.1998
Wir haben unseren Weg durch Slovenien, den Norden Kroatiens, vorbei an zerschossenen und neu aufgebauten Häusern, durch die wunderschönen Landschaften des Dinarischen Karstes in den Süden gefunden. Westlich des Ortes Imotski, nahe der Bosnischen Grenze finden sich am Rande der weiten Poljen eine Reihe großer Einsturzdolinen. Eine von ihnen ist unser Ziel: der Rote See, Crveno Jezero.
Neugierig klettern wir die Böschung der Straße hinauf um den ersten Blick in die Tiefe zu werfen. Die Aussicht übertrifft alle Erwartungen: Wir stehen am Rande eines gewaltigen Kraters von 450m Durchmesser, dessen Wände aus rotem Kalkstein über 200m abfallen. Am Grunde liegt der See, dessen Blau in der Mittagssonne glänzt. Unter seinem Wasserspiegel, so wissen wir, geht es weiter knapp 300m in die Tiefe.
Der Pegel des Sees schwankt jährlich um 30 bis 50m. Wir haben noch Niedrigwasser, wie an den steilen Uferwänden zu sehen ist.
Nun begrüßen wir unsere Kollegen, die aus ganz Deutschland, Österreich und verschiedenen Teilen Kroatiens angereist sind.

Expeditionsteilnehmer:
Ralf Haslinger, Bernd Aspacher, Malden Garasic, Thomas Behrend, Thomas Löschmann, Jens Hilbert, Wolfgang Suchy, Robert Kritz, Kai Loyens, Ulrich Meyer, Martin Bauer, Ralph Wilhelm, Nicole Kube, Richard Hell, Hans Brandstätter, Sebastian Vogel, Stefan Schiemann, Anke Oertel, Andreas Hilsenbeck, Martin Spannagel, Anke Palluch, Roman Ozimec, Marijana Franicevic, Tihomir Kovacevic, Boris Watz, Tonci, Lutz Hock, Thomas Czepitschka, Thomas Huber, Jochen Stappenhorst, Stefan Heckner, Heinz Knauseder und noch einige mehr.

So faszinierend die Aussicht in die Tiefe auch ist- der Abstieg dort hinunter scheint mir beinahe unmöglich. Neben mir bemerke ich einen verwegen über die Kante ragenden Stahlaufbau, an dem irgendwelche Wahnsinnigen klammern, während einige gänzlich
Narrische mit Bohrmaschienen in der senkrechten Wand über dem Wasser baumeln. Zum Glück bleibt mir keine Zeit darüber nachzudenken: Zwei Stunden später bin ich vollständig in die gesamte Aktion integriert, schleppe allerhand Gegenstände umher und versuche so schnell wie möglich all die Technik zu begreifen. Die erste Aufgabe ist nicht Pflänzchen sammeln, sondern den Vergaser der Seilwinde zerlegen.

Das Team arbeitet die folgenden Tage unter Forderung aller geistigen und körperlichen Fähigkeiten der Einzelnen. Zusammenarbeit, Mitdenken, Verantwortung und Improvisation sind alles um den Vorstoß in die Tiefe der größten Einsturzdoline der Welt möglich zu machen.

28.9.1998
Es ist geschafft: Die Seilbahn für den Materialtransport von oben quer durch den Krater zur Wasseroberfläche, die Lasten bis zu 300kg tragen kann, ist in Betrieb. Ein Klettersteig bis zur Hochwasserlinie ist mit Fixseil gesichert. Der senkrechte Abstieg zum Wasser erfolgt über eine 30m lange Aluleiter. In der Mitte des Sees schwimmt eine 6 mal 8m große Ponton- Plattform, welche mit Zugseilen an jeden Punkt des Sees gezogen und fixiert werden kann. Schlauchboote verkehren zwischen Plattform und Aluleiter. Die Ufer sind mit Seilen in Sektoren eingeteilt, die systematisch abgeschwommen werden sollen. Der Tauchbetrieb kann beginnen: Da wir davon ausgingen, daß sich der Krater unterwasser senkrecht fortsetzt, nehme ich eine Boje an einer Leinenhaspel mit, um im Eifer der biologischen Arbeiten nicht absacken zu können.

Schnell stellen wir fest, daß die Boje an der Oberfläche fest hängt und die Markierungsleinen im Freiwasser hängen. Obwohl ich den Eindruck habe an einer senkrechten Wand zu schwimmen, sind wir doch in Wirklichkeit unter einem gewaltigen Überhang. Der Krater erweitert sich in diesem Bereich wie eine Sanduhr unterhalb der Niedrigwasserlinie.
Während des Tauchganges entdecke ich Spalten, in denen rosane und gelbliche Schwämme (Ephydatia fluviatilis) wachsen und Elritzen- ähnliche Fische (Phoxinellus adspersus) stehen. Ich fühle mich an marine Kleinhöhlengesellschaften erinnert. Auf Felsplateaus in geringer Tiefe tummeln sich kleine Steinbeißer (Cobitis sp.). Als einzige Makrophyten wuchern Wassermoose (Fontinalis sp.) an den Wänden, zwischen deren Trieben kleine Wasserschnecken (Bithynia sp.) leben.
Mein erster Aufstieg aus dem Krater, vor dem ich mich als klettertechnischer Leihe insgeheim etwas gefürchtet hatte, gestaltete sich abenteuerlich. Noch berauscht von dem Erlebten klettere ich mit Martin aufwärts, als ein dumpfes Grollen ertönt. Da wir uns noch im unteren Teil des Aufstieges befinden suchen wir eine kleine Halbhöhle auf, von wo aus wir Zeugen eines gewaltiges Natur-
 

schauspiels werden: Ein Gewitter ist aufgezogen. Das Grollen des Donners ist nicht von dem Tosen herunterfallender Gesteinsbrocken zu unterscheiden, die auf die Wasseroberfläche aufschlagen. Riesige Felsen stürzen ab. Im Licht der Blitze wird der Krater voll ausgeleuchtet und die blaue Wasserfläche erscheint gespenstisch aus der Dunkelheit. Als der aufregende Spuk vorrübergezogen ist vollenden wir unseren Aufstieg.
Steinschlag ist innerhalb der Doline das größte Problem, da sich auch ohne Unwetter ständig kleinere und größere Gesteinsteile lösen. Begehung des Steiges, rudern in Ufernähe und auch Tauchen sind nur mit Helm und Vorsicht zu genießen.
Die nächsten zwei Tage befasse ich mich mit dem Anlegen eines Herbars, dem Sammeln von Insekten und Spinnen an Land und Fischfang in Reusen. Eine kuriose Panik entsteht als ein Kollege Hornvipern (Vipera ammodytes) im Aufstieg sichtet: Am Folgetag lesen wir in der kroatischen Boulevardpresse, dass hunderte von Schlangen das Forscherteam angesprungen hätten und die Expedition deshalb beendet werden müsse.
In der übrigen Zeit werden spektakuläre Tieftauchgänge bis in 180m Tiefe

getätigt (Behrend und Haslinger) und bei einer Befahrung mit einem Remote Operating Vehicle (ROV) wird ein großer Zufluß in 170m Tiefe entdeckt. Der Rest des Teams taucht den gesamten Umfang des Sees bis in 80m Tiefe ab um Höhleneingänge zu finden.
Mit den kroatischen Höhlenbiologen dringe ich in ein zuvor von Kollegen vermessenes Höhlensystem in der Kraterwand ein. In einem Siphon, der mit dem See in Verbindung steht fange ich mit einer selbst gebastelten Falle zahlreiche kleine Fische in totaler Finsternis. Es ist die gleiche Art, die ich bereits beim Tauchen gesichtet habe. In 300m vom Eingang auf dem Bauch rutschend entdecken wir kleine Höhlenasseln. Es gibt auch Zweiflüglerlarven in Netzen, Fledermäuse und Pilze auf Kötteln. Auch Reste einer großen Heuschrecke und die darauf befindlichen Milben werden festgestellt. Ich bin hell begeistert, meine Kroatischen Kollegen weniger. Nüchtern kommentieren sie: Das Getier kennen wir schon und es sind auch nur wenige Exemplare...Für mich war es die erste Begegnung mit den Kreaturen der Unterwelt und dem entsprechend aufregend! Sollte sich in anderen Löchern noch mehr exotisches Leben verbergen?
Schließlich lässt mich ein Schnorchelgang im Siphon zum Zwecke der Fischbeobachtung vollkommen dem Eindruck der Höhlenwelt verfallen. Der Blick hinab in den geheimnisvollen Gang mit glasklarem Wasser besiegelt meinen Werdegang als Höhlentaucherin. 

Phoxinellus adspersus

Der kleine Karpfenfisch, der von den Einheimischen auch "Gaovice" genannt wird, konnte bereits mitte des letzten Jahrhunderts von den Forschern Häckel und Kner im Dienste der Österreichischen Akademie der Wissenschaften aus dem Krater hervorgeholt und wissenschaftlich beschrieben werden. Die Tiere kommen nur in diesem See und einigen angrenzenden Gewässern vor. Sie sind wie fast alle ihrer Verwandten Endemiten.
Es gelang uns auf der Expedition 1998 die Tiere zum ersten Mal unterwasser zu beobachten. Sie stehen einzeln in Felsspalten oder ziehen in riesigen Schwärmen im See umher. In der Vergangenheit gaben die von oben sichtbaren, wandernden Schatten den Menschen Anlaß für allerhand sagenhafte Geschichten. Die Färbung der Fische ist bräunlich mit einem dunklen Streifen an der Seite. Sie schwimmen relativ weit in Höhlen ein, was unser Fang im Siphon belegt. Die männlichen Fische (Bild unten) sind wesentlich kleiner als die Weibchen.

Während der ganzen Expedition war ein Kamerateam anwesend, das unter erheblichem
Aufwand die Szenerie verfolgte. Die Erstausstrahlung des von Thomas Behrend produzierten Filmes "Das Drachenloch- Tauchfahrt in unbekannte Tiefen" erfolgte am 25.1.1999 im Abendprogramm des Französisch / Deutschen Senders arte.

Weitere Veröffentlichungen:

Ozimec R. (1999): Crveno jezero Imotsko oko. Hrvatski Zemljopis, Vol 41: 16- 20

Aspacher B., Haslinger R., Meyer U. & Oertel A. (2000): Beyond the Blue. NSS News, Vol.58, 5: 141- 149 (Der Bericht wurde ebenfalls in Bernd Aspachers ENZYKLOPÄDIE DES TECHNISCHEN TAUCHENS veröffentlicht)

Franicevic´ Marijana and Oertel Anke: Phoxinellus adspersus (Heckel, 1843) from the Red Lake, Imotski (Croatia). Poster auf dem XIVten internationalen Symposium für Biospeleology 1999 in Makarska

Internetseite von Bernd Aspacher: http://ourworld.compuserve.com/homepages/Bernd_Aspacher/btb.htm